Sismik - Sprachverhalten und Interesse an Sprache bei Migrantenkindern in Kindertageseinrichtungen
Ein Beobachtungsbogen von Michaela Ulich & Toni Mayr, Staatsinstitut für Frühpädagogik IFP
Sismik ist ein Beobachtungsbogen für die systematische Begleitung der Sprachentwicklung von Migrantenkindern von ca. 3 ½ Jahren bis zum Schulalter - mit Fragen zu Sprache und Literacy (kindliche Erfahrungen rund um Buch-, Erzähl-, Reim- und Schriftkultur).
Das Begleitheft umfasst: Konzeption des Bogens; praktische Hinweise für das Vorgehen bei der Beobachtung; verschiedene Ebenen der Nutzung (z. B. Reflexion des pädagogischen Angebots, Zusammenarbeit im Team); Anleitung für die qualitative und quantitative Auswertung des Bogens (mit Fallbeispielen); Hinweise für die Förderung.
Die Entwicklung des Bogens wurde mit Mitteln des Bundesministeriums des Innern gefördert. Bogen und Begleitheft sind 2003 im Herder Verlag erschienen:
Ulich, M. & Mayr, T. (2003): Sismik. Sprachverhalten und Interesse an Sprache bei Migrantenkindern in Kindertageseinrichtungen (Beobachtungsbogen und Begleitheft). Freiburg: Herder.
Mehrsprachig aufwachsende Migrantenkinder
"Migrantenkinder" ist hier ein Kürzel für alle jene Kinder, deren Familien aus einem anderen Sprach- und Kulturkreis nach Deutschland gekommen sind; dies umfasst nicht nur "Ausländer" (nach dem Pass), sondern auch Aussiedler, binationale Familien, eingebürgerte Zuwanderer, Flüchtlinge oder Asylbewerber.
Es geht speziell um Kinder, die zuhause noch mit einer oder auch zwei anderen Sprachen als Deutsch aufwachsen – selbst wenn nur ein Elternteil diese andere Sprache mit dem Kind spricht und das Kind auf Deutsch antwortet.
Schwerpunkt "Deutsch"
Sismik ist für deutschsprachige Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen gedacht. Das Sprachvermögen des Kindes in der Familiensprache, ein wichtiger Teil der Sprachentwicklung, wird zwar nicht systematisch erfasst, aber doch thematisiert.
Alter: Kinder von ca. 3 1/2 Jahren bis zum Schuleintritt
Sismik deckt die Alters- und Entwicklungsspanne von ca. 3 1/2 Jahren bis zum Schuleintritt ab. Pädagogische Fachkräfte können also schon relativ früh beginnen, die Sprachentwicklung zu beobachten und festzuhalten – und dies dann bis zum Schuleintritt weiterführen. Damit können sie gut dokumentierte Aussagen machen über Lernfortschritte von Kindern und auch über deren sprachbezogene Schulfähigkeit.
"Normale" Sprachentwicklung und sprachliche Bildung
Zentral für den Bogen ist die Fragestellung: Wie verläuft die "normale" sprachliche Bildung und Entwicklung eines Kindes? Der Bogen sensibilisiert durchaus für ungünstige Entwicklungen und Entwicklungsrisiken, er ist aber nicht für die Diagnostik von Sprachstörungen konzipiert.
Motivation und Interesse
Das "Deutsch Lernen" eines Kindes wird als Teil einer komplexen Entwicklung gesehen, die unterschiedliche Bereiche von Sprache umfasst. Ein wichtiger Aspekt ist die Sprachlernmotivation des Kindes, sein Interesse an Sprache, an sprachbezogenen Aktivitäten.
Viele Fragen beziehen sich auf sprachrelevante Situationen und pädagogische Angebote in der Einrichtung, z. B Gespräch am Frühstückstisch, Rollenspiele, Bilderbuchbetrachtungen, Begegnungen mit Schrift, Reime/Sprachspiele. Leitfrage ist hier: Wie weit ist ein Kind bei diesen Angeboten aktiv beteiligt, wie weit engagiert es sich in solchen Situationen? Denn, vor allem wenn Kinder sich für etwas interessieren, wenn sie beteiligt sind, z.B. an Gesprächen oder Erzählungen, dann machen sie Lernerfahrungen.
Sprachentwicklung und "Literacy"
Für die Beobachtung wurden bewusst auch Situationen im Zusammenhang mit Bilderbüchern, Erzählen und Schriftkultur ausgewählt. Kindliche Erfahrungen rund ums Buch gehören zur sog. Literacy-Erziehung.
Diese Erfahrungen sind sehr wichtig für die sprachliche Bildung und Entwicklung eines Kindes im Vorschulalter, und sie haben darüber hinaus auch längerfristige Auswirkungen (z.B. auf die spätere Sprach- und Lesekompetenz), siehe weitere Publikationen.
Sprachliche Kompetenz
Sismik erfasst auch sprachliche Kompetenzen im engeren Sinn (im Deutschen):Wie weit kann ein Kind sich einbringen im Gesprächskreis, eine Geschichte nacherzählen oder ein Gedicht aufsagen, spricht es deutlich, wie ist der Satzbau, der Wortschatz usw.
Die Familiensprache und die Familie des Kindes
Mit dem Bogen wird vor allem die Sprachentwicklung in der deutschen Sprache erfasst – er ist für deutschsprachige Erzieherinnen konzipiert. Sismik enthält aber auch Fragen zur familiensprachlichen Entwicklung des Kindes und zur Sprachpraxis in der Familie, denn diese sind für die Sprachentwicklung sehr wichtig.
Verschiedene Bereiche - ein Gesamtbild
Sismik eröffnet einen breiten Zugang zum Spracherwerbsprozess von Migrantenkindern – vom Gesprächsverhalten des Kindes am Frühstückstisch über sein Interesse an Schrift bis hin zur Sprachpraxis in der Familie.
Konkrete Anhaltspunkte für die Förderung
Die Beobachtung mit Sismik liefert konkrete Anhaltspunkte für die pädagogische Förderung – bezogen auf die Arbeit mit dem einzelnen Kind und bezogen auf die Gestaltung von pädagogischen Angeboten im Bereich "Sprache".
Ein wissenschaftlich begründetes, empirisch abgesichertes Verfahren
Der Bogen wurde mit einer bundesweiten Stichprobe (über 2.000 Kinder, ca. 900 Erzieherinnen, in 12 Bundesländern) erprobt. Die Auswertung zeigt, dass Sismik sprachliche Kompetenzen von Migrantenkindern zuverlässig und differenziert erfasst. Es gibt für verschiedene Bereiche der sprachlichen Entwicklung zusammenfassende Skalen mit entsprechenden Normen.
Das Begleitheft hat 24 Seiten, es wird zusammen mit Sismik geliefert.
Inhalt:
- Konzeption und Aufbau des Bogens
- Vorgehen bei der Beobachtung
- Ebenen der Nutzung (z. B. Reflexion des pädagogischen Angebots, Zusammenarbeit im Team)
- Auswertung des Bogens
- auf die einzelnen Fragen und Situationen bezogen – mit Fallbeispielen
- quantitativ (auf der Grundlage von "Skalenbildung") – mit Blick auf einen Vergleich mit anderen Kindern
- Hinweise für die Förderung
Das Begleitheft hilft pädagogischen Fachkräften mit dem Bogen zu arbeiten und die Beobachtungen selbst auszuwerten. Gleichzeitig ist es eine gute Grundlage für Kollegen/ Kolleginnen, die Sismik in der Aus- und Fortbildung einsetzen.
Ulich, M. (2003). Literacy – sprachliche Bildung im Elementarbereich. Kindergarten heute, 33. Jg., Heft 3, 6-18 – Nachdruck in S. Weber (Hrsg.) (2003). Die Bildungsbereiche im Kindergarten. Basiswissen für Ausbildung und Praxis. Freiburg: Herder.
Ulich, M., Oberhuemer, P. & Soltendieck, M. (2001). Die Welt trifft sich im Kindergarten. Interkulturelle Arbeit und Sprachförderung. Weinheim, Basel: Beltz.
Ulich, M. (2004). Lust auf Sprache – Sprachliche Bildung und Deutsch lernen in Kindertageseinrichtungen, Film mit Begleitheft, Freiburg: Herder.